Eine alleinerziehende Frau mit 3 Kindern, die Privatisierung öffentlichen Eigentums, ein Geflecht von Immobilienspekulant_innen, gefördert durch eine Politik, die nie was dafür kann, wohlwollende aber hilflose Bürokrat_innen und wie aussichtslose Geschichten auch gut enden können.
Allein vor Gericht
Mitte Dezember 2014 kommt Nessrine mit ihren 3 minderjährigen Kindern zum Bündnis Zwangsräumung verhindern. Sie sollte ihre Wohnung zum 31.12. verlassen. Sie hatte vor Gericht einem Vergleich zugestimmt, weil sie Angst hatte ihre Wohnung sonst noch schneller zu verlieren. Dies ist beileibe kein Einzelfall und die Angst der Mieter_innen durchaus nachvollziehbar. Denn auch wenn Richter_innen immer so tun, als ob sich Vermieter_innen und Mieter_innen gleich zu gleich gegenüber stehen, wissen wir alle: das ist totaler Quatsch. Der eine kann dich rausschmeißen, die andere findet aber keine Wohnung auf dem ach so tollen Wohnungsmarkt. Richter_innen mit ihrem Gehalt können sich das aber nicht vorstellen.
Kostenmiete: vergoldeter Arsch für Investor_innen – letztes Hemd der Mieter_innen
Bei Nessrine ist Vermieter, Eigentümer und Hausverwaltung die Claus Hausverwaltung GmbH mit Geschäftsführung Stefan Claus und Melani Schnell. Das Haus ist ein ehemaliger Sozialwohnungsbau, der aus der Anschlußförderung gefallen ist. Deshalb gelten hier auch keine Mieterrechte und die Miete kann bis auf die „Kostenmiete“ erhöht werden. Die „Kostenmiete“ kommt zusammen aus dem was sich bisher Banken, Baumafia, abgehalfterte Politiker_innen und steuerabschreibende Zahnärzt_innen gegenseitig zugeschoben haben – und das ist nicht wenig. Bei Nessrine 1470 Euro bruttowarm für 70 qm.
Aber es geht noch mehr, z.B. in der Kochstraße, noch Kreuzberg aber gefühlt schon Mitte. „Mieten verdoppelt: Schnelles Geld am Checkpoint Charlie“ titelt der Tagesspiegel und der Berliner Kurier fragt „Wer sind die skrupellosen Miethaie?“ Eine Antwort hat auch er nicht, aber mit dabei: die Claus Hausverwaltung GmbH.
Bis 2003 wurden die „Kostenmieten“ vom Berliner Senat subventioniert, dann wurde ihm das zu teuer. Alle hatten schon ihren Reibach gemacht (s.o) und wenn nicht, konnten sie jetzt wie die Claus Hausverwaltung GmbH zuschlagen – einzig die Mieter_innen, tja die hatten halt Pech. Und „Dass Du Dich wehren musst, wenn Du nicht untergehen willst, wirst Du doch einsehen.“ wusste zwar schon Berthold Brecht aber leider nicht die Mieter_innen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Aber zurück zu Nessrine. Die Claus Hausverwaltung GmbH knallt also die Miete auf 1470 Euro bruttowarm rauf, das JobCenter zahlt das erstmal nicht. Nessrine läuft sich die Hacken ab, aber in ihrem Kiez gibt es keine Wohnung zum Hartz-Satz. Bis das JobCenter das auch einsieht und alles bezahlt, ist es zu spät, die Kündigung ist da, der Vergleich geschlossen und die Not groß.
Und immer noch gilt: Allein machen sie dich ein…
Deshalb sind solidarische Unterstützungsstrukturen ein so wichtiger Bestandteil unserer Kämpfe. Diese Solidarität versuchen wir zu organisieren. Nessrine kam auf einigen Umwegen zu uns und wir haben zusammen überlegt, was wir tun können. Nessrine ist tough und hat schon Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, aber alleine und dann noch mit 3 Kindern kommst du halt auch an deine Grenzen. Wichtig war es jetzt eine Wohnung zu bekommen und zwar im Kiez oder in der Nähe, weil Nessrine und die Kinder einfach ihre Strukturen brauchen, die sie unterstützen. Der Claus Hausverwaltung mal ordentlich eine vor den Latz zu knallen, hätten die zwar verdient – und verdienen sie immer noch – aber das Ergebnis wäre einfach zu unsicher. Schließlich sitzen die am längeren Hebel und bei einer Räumung holen sie halt die Polizei. Erstmal ein zu großes Risiko für eine Alleinerziehende mit 3 Kindern. Also öffentlichen Druck aufbauen und offensiv die Politik in die Verantwortung nehmen.
…aber gemeinsam geht was!
Also haben wir öffentlich angekündigt, die Bezirksstadträtin für Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung von Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz zu besuchen. Als Gruppe natürlich, weil allein machen…, na den Rest kennt ihr schon. Blöd war die Zeit, zwischen den Jahren, am Montag, den 29.12.2014. Toll war, das wir trotzdem ein gutes Dutzend Leute waren. Und zwar die wenigsten vom Bündnis Zwangsräumung verhindern, sondern Leute, die die Ankündigung über Mailinglisten oder auf unserem Blog gelesen hatten. Es tut gut zu sehen, wie viel Leute gelebte Solidarität wichtig nehmen, denn alles alleine können wir als Bündnis nicht wuppen. Auch super, das wer von BASTA!, der Erwerbsloseninitiative Berlin, da war. Weil, mit dem JobCenter war natürlich auch noch was auszufechten und da ist kompetente Unterstützung natürlich eine große Hilfe und mit BASTA! hatten wir ja schon gemeinsam gegen Tinas Zwangsräumung im Wedding mobilisiert.
Bürokraten-Hürdenlauf
Wie schon gesagt, der Termin zwischen den Jahren war nicht ganz optimal – Klotz war in Urlaub. Aber Christian Schneider, der Büroleiter der Bezirksbürgermeisterin, wußte schon Bescheid. Das die unsere Briefe und Ankündigungen nicht einfach in den Papierkorb werfen, sondern uns schon erwarten, hat den einfachen Grund, das die wissen, dass wir ganz schön penetrant sein können – bis hin zur Blockade. Ohne die hunderte von Leuten, die sich bisher an den Aktionen beteiligt haben, hätten wir nicht so eine Kraft. Auch war Schneider schon busy und hat die Sozialamtsleiterin kontaktet und uns den Vorschlag unterbreitet, Sibyll Klotz nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 05.01.2015 sofort zu unterrichten und telefonisch einen Termin zu vereinbaren. Das lehnten wir ab, die Zeit war zu knapp, um sie mit Termin hin und her zu verschwenden, und so kündigten wir an, am 05.01.2015 um 11.00 Uhr einfach wieder auf der Matte zu stehen.
Das taten wir dann auch, natürlich als Gruppe. Klotz dachte sie ist besonders schlau und kann sich aus der Affäre ziehen indem sie einfach einen Mitarbeiter der sozialen Wohnhilfe vorschickt. Die sind in Tempelhof-Schöneberg zwar bemüht, haben aber auch keine Wohnungen im Kiez und finden es deshalb völlig ok Nessrine und ihren Kindern zuzumuten, doch nach Reinickendorf zu ziehen. Das ist aber absolut nicht ok, Leute aus ihrer sozialen Umgebung zu reißen, damit die Claus Hausverwaltung noch mehr Kohle mit der Wohnung machen kann. Da war Nessrine ganz klar und wir unterstützten sie natürlich dabei. Nach einer Stunde politischer Diskussion kam raus, daß wir und der Typ von der sozialen Wohnhilfe nicht zusammen kommen. Wundersamerweise wurde dann aber doch recht schnell von Sibyll Klotz ein Termin angeboten.
Beim Termin waren dann wir als Gruppe, Sibyll Klotz und die Chefin der sozialen Wohnhilfe, die auch sehr engagiert ist. Wir hatten auch schon konkrete Vorschläge dabei: Klotz soll auf die Claus Hausverwaltung einwirken, das Nessrine in der Wohnung bleiben kann, oder sie soll das JobCenter dazu bewegen auch eine Wohnung über dem Hartz-Satz zu bezahlen, oder sie soll bei einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft eine Wohnung auf M-Schein besorgen – natürlich kieznah.
Scheinbar aussichtslose Geschichten können auch gut enden
Das mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft hat dann auch geklappt, Nessrine hat eine Wohnung bei der GEWOBAG bekommen. Zwei U-Bahn und eine Busstation von der alten Wohnung entfernt, Miete im Hartz-Bereich. Fassen wir zusammen: Für Nessrine und ihre Kinder ist es nochmal gutgegangen, halbwegs im Kiez geblieben. Ohne Unterstützung wäre das wohl nicht gelaufen. Sozialstadträtin Klotz und der Apparat haben sich bewegt, weil sie Angst vor Öffentlichkeit haben. Dass das Bündnis Zwangsräumung verhindern Druck durch Öffentlichkeit machen kann, haben wir oft genug gezeigt. Ohne die vielen, die dabei über die Jahre mitgemacht haben, würde das aber nicht funktionieren.
Weiter zusammen kämpfen, uns organisieren, den Druck erhöhen, in den kleinen Sachen solidarisch sein und das weitersagen, das auch mehr und andere zusammen kämpfen, sich organisieren, den Druck erhöhen, in den kleinen Sachen solidarisch sind. Dann können auch scheinbar aussichtslose Geschichten gut enden.
PS: Das die Claus Hausverwaltung GmbH mit Geschäftsführung Stefan Claus und Melani Schnell so ohne jeden Streß davongekommen ist, ist natürlich ein Wermutstropfen bei der ganzen Sache. Aber im Kapitalismus sitzen die Eigentümer_innen halt am längeren Hebel. Aber das muss ja nicht so bleiben (der Kapitalismus) und ausserdem sieht man sich immer zweimal (Stefan und Melani)…