Im Gegensatz zu den Schauergeschichten in der Presse wird der Görlitzer Park stark frequentiert – von unterschiedlichen Menschen. Es geht den politisch Verantwortlichen also offensichtlich nicht darum, den Park wie sie sagen „wieder nutzbar“ zu machen, sondern um einen bewussten Austausch der Nutzer*innengruppen.
Für das grüne Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und seine Bürgermeisterin Monika Herrmann läuft es seit einiger Zeit nicht so rund – zumindest, was ihr Ansehen im Kiez angeht. Kreuzberger*innen ohne viel Knete massenhaft in die Außenbezirke bzw. Obdachlosigkeit verdrängen, Geflüchtete verarschen und Bullen auf sie hetzen, Familien vertreiben und ihnen dann die Kinder wegnehmen wollen, und schließlich rassistische Razzien gegen People of Colour. Nun entglitt dem Bezirk und der BVV auch noch ihre Bürgerbeteiligungssimulationsveranstaltung zum Görlitzer Park am 19.02. im Jugendhaus CHIP. So völlig doof sind sie aber nicht: Den Geflüchteten, die in der Gerhart-Hauptmann-Schule wohnen, ließen sie die soundsovielte Kündigung erst am nächsten Morgen per Polizeiboten zustellen. Sonst hätte es im CHIP wohl noch mehr gekracht.
Die momentanen öffentlichen Diskussionsveranstaltungen im Kiez sind Teil einer ganzen Reihe von Bürgerbeteiligungssimulationen: Schon am 5.2. hatte das Bezirksamt zu einer Versammlung im Kreuzer direkt im Görlitzer Park eingeladen. Viele Anwohner*innen hatten damals lebhaft nicht nur die übertriebenen Rückschnittmaßnahmen der Parkpflanzen durch das Bezirksamt kritisiert, sondern auch die Verengung eines von Rassismus, Polizeigewalt und Gentrifizierung geprägten Konflikts auf ein botanisches Problem. Es wurde deutlich, dass die Partizipations- und Mitgestaltungsangebote des Bezirks ein schlechter Scherz sind, weil das Bezirksamt am Ende doch im Alleingang entscheidet.
Vor diesem Hintergrund finden wir es absolut richtig, wenn wie am 19. Februar im CHIP öffentliche stadtpolitische Diskussionsveranstaltungen mit Innenstaatssekretär Krömer und Polizeidirektionsschef Weis in ihrem Ablauf massiv gestört werden. Staatsbeamte wie Krömer und Weis waren es, die per Fingerschnipps 800 Polizist*innen für die Durchsetzung von André Franells Verwertungs- und Profitinteressen gegen das Wohnbedürfnis der Gülbols in Bewegung gesetzt haben. Sie verwandelten im Rahmen der 2-wöchigen Belagerung der Gerhart-Hauptmann-Schule mit 1.700 Bullen das Lebensumfeld von Geflüchteten und Anwohner*innen im Juni 2014 in eine polizeistaatliche Sonderzone. Mit solchen Figuren ist ein Austausch auf Augenhöhe niemals möglich. Wir werden stets mithelfen, dass eine solche Top-Down-Meinungsbildungspraxis, bei der die beiden Bullenchefs im Nachhinein dann auch noch unter völliger Verkennung der Machtverhältnisse als „niedergebrüllte“ Leidtragende dargestellt werden, im Kiez gar nicht erst Fuß fasst.
Ein Park nur für bürgerliche weiße Mittelschicht?
Das Bezirksamt greift jedoch den perfiden Ruf danach, den Park „wieder für Familien nutzbar zu machen“, bereitwillig auf. Eine gutverdiendene, bürgerliche weiße Mittelschicht, die sich irgendwie als ökologisch-links versteht, drängt selbstbewusst in den Kiez. Sie fühlt sich im Park plötzlich von der Anwesenheit der Drogenverkäufer nicht-deutscher Herkunft gestört und formuliert offensiv politische Forderungen. Ein freundliches „Nein, danke. Für heute kein Gras. Habt einen schönen Tag!“ empfinden sie ernsthaft als Zumutung. Bereits jetzt spielen aber schon Kinder im Görli, picknicken im Sommer Familien und treffen sich Jugendliche zum Rumhängen. Nur sind diese für die „bürgerlichen weißen Wichser“ (Monika Herrmann) zu links, zu migrantisch, zu wenig gesetzestreu, zu polizeikritisch, zu wenig deutschsprachig oder schlafen zu viel im Park auf Matratzen. Das freundliche Miteinander der Nutzer*innengruppen wird deshalb durch Aufwertung, Verdrängung, Zwangsräumung und Austausch der Bewohner*innenstruktur gefährdet, nicht durch Illegalisierte oder durch Drogenverkauf.
Die derzeitigen Versuche des Bezirksamtes, über Fake-Bürgerbeteiligungsveranstaltungen wieder die Deutungshoheit über soziale und politische Fragen zu gewinnen, hat eine Vorgeschichte von Verdrängung, Vertreibung und umfassender Repression:
Die Grünen spielen mit falschen Karten, wenn sie sagen, dass der Görli plötzlich zu einem Konfliktherd geworden ist und sexualisierte Übergriffe erst stattfinden, seitdem dort Refugees den Park mitbenutzen . Ein Konfliktherd war er seit Jahrzehnten und früher noch viel mehr. In den 1980er Jahren gab es selbstorganisierte Frauenpatrouillen im Görli, um gegen sexistische Gewalt vorzugehen. 1993 besetzten 200 Frauen aus Protest gegen sexistische Gewalt den Park (siehe dazu die Interim 231/1993). Dem Problem haben sich die Menschen selbst angenommen.
Die neue einflussreiche Bionadebourgeoisie mit ihrem Sicherheitsbedürfnis, das sie vor allem gegen vermeintliche sexualisierte Übergriffe durch schwarze Personen geltend macht, kann sich heutzutage der tatkräftigen Unterstützung einer autoritären Bürgermeisterin und einer permanenten Polizeipräsenz sicher sein.
Die Bedürfnisse von manchen Anwohner*innen nach einem „sicheren Park“ werden dabei vielfältig durch Presseberichterstattung verstärkt, Bedürfnisse nach sinkenden Mieten, nach weniger Polizei, einem Ende rassistischer Polizeikontrollen oder eine Legalisierung von Drogen werden nicht gehört oder sogar unterdrückt. Die Gegend um den Görlitzer Park hat in Berlin dabei die höchsten Mietsteigerungen, in den letzten fünf Jahren stiegen hier die Mieten um 97 Prozent. Diese Problematik ist für viele Anwohner*innen drängend, aber in Politik und Medien werden nur die Sorgen vor „aufdringlichen Drogendealern“ aufgenommen und aufgebauscht. Um das Gebiet noch attraktiver für Menschen mit hohem Einkommen zu machen, ist ein Park ohne sichtbare Armut notwendig.
Dem Bezirk, dem Senat, den Hauseigentümer*innen und der Polizei können wir an dieser Stelle versichern, dass sie sich bei dem Versuch, die Gegend um Wrangelkiez, Görlitzer Park und Reichenberger Straße zu befrieden, verheben werden. Es gibt auch in Zukunft kein ruhiges SO36, das die Klappe hält!
Wie geht es weiter?
Der Bezirk lädt – wie es den Moden des Widerstand-Totquatschens entspricht – zu einem öffentlichen „Runden Tisch“ im Reichenberger Kiez ein. Das Bezirksamt will Wohungseigentümer*innen und „Mieter*innen“ miteinander versöhnen. Stattfinden wird dieser zum Thema Wohnen am 17. März 2015 von 18.00 – 20.00 Uhr in der DESI, Ohlauer Straße 41 in 10999 Berlin. Wir sind alle herzlich eingeladen.
Mittlerweile hat sich jedoch auch eine lebhafte antirassistische Initiative „Görli für Alle“ gegründet. Ein nächstes Treffen ist am 5. März 2015 um 19 Uhr im New Yorck im Bethanien, Mariannenplatz 2a.