Zur Räumung der drei Besetzungen Nikis, Orfanotrofeio und Hurriya in Thessaloniki

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Am letzten Mittwoch, den 27.07. wurden in Thessaloniki zeitgleich um 6 Uhr früh drei besetzte Häuser von hunderten Riot Cops geräumt und dabei insgesamt 74 Menschen festgenommen.

Der Squat Nikis, der direkt an der Ufer Promenade ‚Leoforos Nikis‘ liegt und in Besitz der Universität von Thessaloniki ist, besteht seit den Aufständen im Jahr 2008, die in ganz Griechenland nach der Ermordung des 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos in Athen durch einen Polizisten stattfanden. Nikis beherbergte Genoss*innen aus Thessaloniki und ihre internationalen Besucher*innen, öffnete allerdings auch in den letzten Monaten die Türen für mehrere Flüchtlingsfamilien.

Orfanotrofeio war ein ehemaliges Waisenhaus, das der Kirche übertragen wurde, die die Gebäude verfallen ließ, obwohl sie dort wieder eine soziale Einrichtung hätte etablieren sollen. Das Anwesen liegt im besseren Stadtteil Tuba und es gibt großes Interesse, dort ein kommerzielles Bauprojekt durchzuführen. Nur zwei Stunden nach der Raeumung rückten die Bulldozer an und begannen alles dem Erdboden gleichzumachen. Beim Abriss von Orfanotrofeio zerstörten die Baufirmen neben dort gelagerten Kleiderspenden und Medikamenten auch noch alle Utensilien der No Border Kitchen, die vor allem auf Lesbos Geflüchtete versorgt hatte. Ein Auslagern dieser Materialien wurden den Freund*innen verboten – auf welcher Grundlage ist bisher unklar. Fest steht, dass die Repressionsapparate gehörig an Tempo aufnehmen.

So ist dieses Projekt der Selbstorganisierung endgültig Geschichte. Dort hatten lokale Aktivist*innen mit regelmäßig zwischen 60 und 90 Geflüchteten nicht nur gelebt, sondern politische Initiativen entwickelt. Insgesamt lebten in Orfanotrofeio in den letzten Monaten über 600 Geflüchtete.

Der Squat Hurriya (Freiheit) war erst fünf Tage vor der Räumung während des ‚No Border Camp‘ besetzt worden. Das private, leerstehende Wohnhaus war auf Initiative von Menschen besetzt wurde, die bis zur Räumung des Camps in Idomeni monatelang zehntausende Flüchtlinge mit Essen versorgten und den Menschen dort mit Kino-Vorführungen oder Kinderunterhaltung etwas Ablenkung verschafften. Es war quasi grade fertig renoviert und die Einrichtung der Wohnungen organisiert. Das Haus im Zentrum Thessalonikis mit Einkaufsläden und teuren Restaurants in der Nachbarschaft wurde ausgesucht, weil der Besitzer Steuerschulden hat und darauf gehofft wurde, dass er deswegen auf eine Räumung verzichten wird.

Neun Menschen, die in Nikis festgenommen worden waren, wurden bereits wegen Besetzung eines öffentlichen Gebäudes zu 4 Monaten Haft verurteilt, die drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt sind. Heute fand eine Verhandlung gegen eine solidarische Anwältin statt, die zur Zeit der Räumung in Orfanotrofeio war. Vor 50 Freund*innen im Gerichtssaal und nochmal so vielen davor – die von einer ähnlichen Anzahl Riot Cops begleitet wurden – wurde auch sie schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 2000 Euro verurteilt – sie wird allerdings in Berufung gehen. Die Verhandlungen gehen die nächsten Tage weiter. Die festgenommen Geflüchtete wurden in Internierungslage weit außerhalb der Stadt verfrachtet. Einschüchterungsversuche über Repressionen und die Zerschlagung von gewachsenen Strukturen aus lokalen und neu angekommenen Aktivist*innen stehen offensichtlich im Fokus der Herrschenden.

Insgesamt scheint diese Aktion, die mitten in der Urlaubszeit stattfand, eine neue Ära im Kampf der Herrschenden gegen die Solidaritätsbewegung einzuläuten. Schon während des No Border Camps gab es eine enorme Kampagne, die Medien berichteten von den Vandalen, die aus ganz Europa angereist seien, um Thessaloniki zu zerstören. An vorderster Front dabei der Bürgermeister und der Uni-Präsident, da das Camp als Besetzung auf dem Campus stattfand. Gemeinsam mit der Polizei forderten sie ständig die Räumung, zu dieser Zeit wollte wohl die Syriza-Regierung den Konflikt noch vermeiden – schließlich waren über 2000 Aktivist*innen in der Stadt. Nun hat die ehemalige Bewegungspartei wohl einen anderen Kurs eingeschlagen und die acht Refugee-Housing-Squats in Athen bereiten sich auf den Widerstand vor.

Und es gab auch im direkten Anschluss mehrere Aktionen, das Syriza-Büro in Thessaloniki sowie die Theaterschule wurden kurzzeitig besetzt, das Büro der Baufirma, die den Abriss von Orfanotrofeio durchführt, ging in Flammen auf und in Athen gab es am 28. eine große Soli-Demo, die gemeinsam von den verschiedenen Housing-Squats organisiert wurde. Am Sonntag früh flyerten Menschen während der Messe im Erzbistum, es allerdings gab es 28 Festnahmen und die Medien berichteten, sie hätten in der Kirche randaliert. Die Stimmung in der griechischen Gesellschaft, die eigentlich großteils solidarisch mit den Geflüchteten und Unterstützenden ist, scheint sich auf Grund der Kampagnen der privaten Medienlandschaft allerdings eher gegen die Solidaritätsbewegung zu entwickeln.

Das Bündnis Zwangsräumung Verhindern Berlin und – wie auf dem Photo zu sehen – viele weitere Menschen senden alle Solidarität nach Thessaloniki und an alle Genoss*innen und Freund*innen in Griechenland und überall auf der Welt, die sich denjenigen annehmen, welche sich auf der Flucht befinden und auf der Suche nach einem würdigen Leben sind. Eine EU, die mit Deutschland an der Spitze ein mörderisches Grenzregime errichtet hat, ist zu verdammen. Wenn Regierungen, die in der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten selbst total versagen, nun diejenigen bekämpfen, die solidarische versuchen, die gröbsten Nöte abzuwenden und sich gemeinsam mit den Geflüchteten zu organisieren, ist transnationaler Widerstand angesagt.

Solidarity knows no borders! You can’t evict a movement!

Eine ausführliche Analyse, insbesondere der Politik von Syriza in Bezug auf soziale Bewegungen findet sich hier: https://roarmag.org/essays/criminalizing-solidarity-movement-refugees-greece/

Der offene Brief des Nikis Squat an Alexis Tsipras wurde von Beyond Europe hier dokumentiert: https://noborder.beyondeurope.net/open-letter-to-alexis-tsipras-and-his-government/