Ein Mensch steht auf einem Dach in Spandau

Ein Mensch steht auf einem Dach in Spandau. Die vor dem Haus auf einem Parkplatz versammelten Menschen blicken schaulustig nach oben. Dieser Mensch droht zu springen, weil sein Blumenladen vor ein paar Minuten zwangsgeräumt worden ist. Er will sich das Leben nehmen wegen eines Geschäfts. Lächerlich? Unnötig?

Oft hört man von Menschen, dass Leute nur versuchten, sich das Leben zu nehmen, „der Aufmerksamkeit wegen“, weil „diese Leute völlig übergeschnappt sind, sie wollen im Vordergrund stehen um jeden Preis“. Aber auch starkes Mitgefühl ist sehr oft präsent. So schwingt die Angst um ein Leben doch immer mit, wenn wir wirklich damit konfrontiert werden, dass jemand droht sich umzubringen.

Die Aufmerksamkeit spielt für denjenigen bestimmt eine wesentliche Rolle. Jedoch ist es wichtig zu hinterfragen, was für eine Art von Aufmerksamkeit gesucht wird. Blicken wir genauer auf die Situation des auf den Dach stehenden Menschen, dann wissen wir, dass es hier um eine reale Existenz geht. Denn die Zwangsräumung des Blumenladens bedeutet, dass dieser Mensch in Zukunft erst mal keinen Job haben wird. Er wurde von einem Tag auf den anderen seiner Existenzgrundlage beraubt. Doch von wem genau?

Von einem großen Konzern, dem die Grundstücksfläche gehört, der diese Fläche nun nutzen möchte. Von einer Politik, die auf bezahlbare Mieten offensichtlich keinen Wert legt und den kleinen Einzelhändler um die Ecke nicht als Bereicherung sondern als Konkurrent betrachtet.

Dieser Mensch steht nun also auf dem Dach, aber er steht dort nicht einfach nur, weil er vielleicht „übergeschnappt“ ist. Vielmehr wird hier ein politischer Hilferuf demonstriert, ein Ruf der nach Aufmerksamkeit schreit – aber nicht des Selbstmordes wegen.

Dieser Hilferuf sagt „Hey Leute! In diesem Land ist Geld so wichtig, dass ich bereit bin mich umzubringen, wenn ich keines mehr habe ! Wenn meine materielle Existenz auf dem Spiel steht, stehe auch ich auf dem Spiel!“

Dieser Aufruf . Er demonstriert genau das, was eigentlich jede/r weiß: ohne Geld bist du in dieser Gesellschaft nichts wert.

Doch thematisiert wird dieser wesentliche Aspekt nicht. Vielmehr wird nun thematisiert, was denn mit DIESEM Menschen nicht stimme. Die Verantwortung bzw. die Schuldfrage bezieht sich auf das Individuum, dieaktuellen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse werden nicht in Frage gestellt.

So wird nun der/die Betroffene/r in ein Krankenhaus eingewiesen. Dort wird ein Facharzt vermutlich feststellen, dass er/sie instabil ist, nicht fähig, Probleme auf eine andere Art und Weise zu lösen, als die Politik mal zu fordern. Der/die Betroffene/r wird nun in ein vorhandenes Schema gepresst, vielleicht ist er manisch-depressiv? Oder neurotisch-paranoid? Das würde ja passen! Der/die Betroffene/r verliert etwas existenzielles im Leben, kann damit nicht angemessen umgehen, und droht damit, sich das Leben zu nehmen. Nach ärztlichen Befunden „typische depressive Muster“. Und wer in ein Muster fällt, dem kann man jetzt auch eine Pille dagegen geben, die dann natürlich hilft, Stabilität zu erreichen. So müssen sich dann auch Gesellschaft und Politik nicht ändern, nein. Individuen werden einfach ausgetauscht, für schuldig erklärt, und das Thema ist gegessen.
 
Aber so leicht ist es nicht. Dieser Mensch war nicht „schuld“ an seiner Situation. Dieser Mensch handelte einfach nur nach dem gesellschaftlichen Prinzip, nur „jemand“ durch Vermögen zu sein. Denn eigentlich weiss es jede/r: Ohne Geld kannst und bist du hier nichts.

Doch genau an diesem Punkt muss angesetzt werden ! Es kann nicht sein, dass Menschen eine Pille bekommen, wenn ihnen die Lebensgrundlage genommen wird! Denn keine Pille dieser Welt wird dabei helfen, den fehlenden Job und damit auch das fehlende Geld zu ersetzen.

Was notwendig ist, ist eine Politik, die auf fehlende bezahlbare Räumlichkeiten eingeht. Eine Politik, die nicht noch mehr sog. „Randgruppen“ schafft, indem die Menschen mittellos gemacht werden.
 
Oder eben wir, die sich mal Gedanken darüber machen, warum wir an unseren materiellen Besitzen so hängen. Und versuchen, da auszubrechen.