Polizei-Märchenstunde im Gerichtssaal

Es war einmal ein tapferes Polizistenlein. Das warf sich heldenhaft einer rasenden Meute gewalttätiger Mieter_innen entgegen. Und beschützte damit einen, von ihm festgenommenen, natürlich auch gewalttätigen, Demonstranten, mit vollem Körpereinsatz vor dem randalierenden Mob. Dieser Mob hatte nämlich, so das tapfere Polizistenlein, den Festgenommenen wahrscheinlich mit Tritten und Schlägen bewußtlos geschlagen.

So ungefähr die Aussage des ersten Polizeibeamten im heutigen Prozeß gegen Sten M. Das war so dick aufgetragen, dass es auch dem Richter nicht verborgen blieb. Unzählige Ungereimtheiten konnten durch die geschickte Befragung von Stens Verteidigerin aufgedeckt werden. Z.B. der „Fußballertritt mit Ausholen“ in Richtung der Polizisten – als Sten ihnen allerdings schon den Rücken zugewandt hatte. Und so ging es weiter. Der Richter fand das so „bemerkenswert“, dass er die weiteren drei Polizeizeugen genauer befragte. Diese hatten natürlich nichts davon mitbekommen, dass ein Polizist Sten bewußtlos schlug, sondern sahen nur überall „gewalttätige Demoteilnehmer_innen“.

Da ein Polizeizeuge in Urlaub ist, gibt es am Mittwoch, den 21.05.2014, 9:00 Uhr, Turmstraße 91 eine Fortsetzung der Märchenstunde. Und zwar wieder im besonders gesicherten Teil des Amtsgerichtes in Raum 101, um die Gefährlichkeit des Angeklagten schon im vorhinein festzusetzen. Seid überpünktlich, da penibel kontrolliert wird: von alle Gegenstände in den Taschen abgeben bis Schuhe ausziehen. Und auch nur 20 Plätze zu vergeben sind.

Sten M. hat das heutige Verfahren mit einer politischen Einschätzung eröffnet, die ihm viel Applaus der solidarischen Zuhörer_innen einbrachte:

Wir befinden uns heute hier vor diesem Gericht nicht um heraus zu finden ob ich die mir vorgeworfenen Taten begangen habe oder nicht, sondern viel mehr aufgrund der kontinuierlichen Kriminalisierung und Repression von Seiten der Berliner Polizei und des Senats gegenüber den Mieten- und Zwangsräumungsprotesten.

Dieses Verfahren ist nur die konsequente Fortsetzung einer Politik der Wirtschaft und Ausbeutung in der Menschen als eine Ware betrachtet werden mit der sich Gewinne erzielen lassen.

Vor nunmehr einem Jahr, am Dienstag, den 09.04.2013 wurde die 67-jährige, gesundheitlich stark beeinträchtigte Rosemarie F. aus ihrer Wohnung in der Arosaer Allee 92 in Reinickendorf zwangsgeräumt und verstarb zwei Tage später in einer Wärmestube. Grund für ihren Tod waren allerdings weder ihr Alter noch ihr gesundheitlicher Zustand sondern vielmehr die Gier und das menschenverachtende Handeln des Eigentümerpaares Birgit und Ralph Hartig, welche es lieber hätten wenn „solche Leute im Dschungel wohnen“(Ralph Hartig). da Rosemarie einer Komplettsanierung und Neuvermietung zu einer immens hohen Miete im Wege war.

So sabotierte das Ehepaar Hartig alle Versuche Rosemaries und ihrer Unterstützer_innen, in der Wohnung bleiben zu können. Dabei war ihnen jedes Mittel recht, vom Verschweigen eines Kontos, auf das die Miete hätte überwiesen werden können, über das Abblocken von Vermittlungsvorschlägen bis hin zum Denunzieren von Rosemarie selber. Schlussendlich erwirkten sie einen Räumungstitel, den die Berliner Polizei mit 140 Polizisten und 30 Einsatzfahrzeugen mit allen Mitteln durchsetzte.

Ab dem 09.04.2013, 9.00 Uhr morgens saß Rosemarie auf der Straße und hatte nichts mehr. Sie übernachtete eine Nacht in einer solidarischen Wohngemeinschaft und die darauffolgende Nacht in der Wärmestube für Obdachlose, in der sie dann am nächsten Morgen verstarb.

Wieder einmal standen kapitalistische Interessen im Vordergrund und führten zum Tod eines Menschen.

Die allgemeine Trauer und Wut führte nicht nur zu einer spontanen Demonstration am selben Tag sondern auch zu einer Demonstration von über 800 Menschen am 14.04.2013. Während der Demonstration kam es zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten durch Einheiten der Berliner Polizei, in Folge dessen ich, in das Urbankrankenhaus eingeliefert wurde und mit Handschellen an ein Bett gefesselt wieder aufwachte.

An dieser Stelle wird mir nun widerrum vorgeworfen die nun klagenden Beamten beleidigt, körperlich angegriffen und andererseits den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung begangen zu haben.

Völlig außer Acht gelassen wird dabei nicht nur, das es sich um eine Gedenkdemonstration an eine durch die Handlungen der Berliner Polizei verstorbene Frau handelte und die Stimmung innerhalb der Demonstration dem entsprechend betrübt war, sondern auch das die Berliner Polizei seit Jahren kontinuierlich versucht die Mietenproteste zu kriminalisieren und alle Menschen die sich daran beteiligen mit jeder Repressionsmöglichkeit einzuschüchtern.

Das zeigt auch die neuerliche Eskalation einer Zwangsräumung in Kreuzberg am 27.03.2014 und der Übergriffe im Anschluss an eine Demonstration gegen Zwangsräumungen am darauf folgenden Samstag, den 29.03.2014, bei der es durch Beamte der Berliner Polizei zu mehreren Übergriffen kam.

Auch die kürzliche Räumung das Refugee Protestcamps am Oranienplatz, sowie das Verschweigen des Widerstands dagegen, fügt sich in der Ausführung, den Absichten und Erklärungen der Stadt und Polizei Berlin in dieses Bild.

Dies zeigt eindeutig dass die Gewalt bei den Mietenprotesten nicht von den Demonstrant_innen sondern von der Berliner Polizei, dem Senat und natürlich auch von den Immobilienspekulant_innen ausgeht.

Es wird versucht diese Proteste permanent einzuschüchtern, sei es mit Gewalt, der Androhung von Gewalt oder Repressionen seitens des Staates.

Dabei sind die einzelnen Polizist_innen genauso Täter wie es der Senat, die Hauseigentümer_innen und auch natürlich die Gerichte sind, so auch dieses hier.

Am deutlichsten wird die Absurdität dieses durch und durch kapitalistisch motivierten Handelns darin, dass sich friedliche Proteste gegen die gewaltsame Räumung von Menschen aus den Wohnungen in denen sie leben nicht nur immenser physischer und psychischer Gewalt durch Polizeibeamte ausgesetzt sehen, sondern auch auf längerfristige Sicht diesen Protesten genau solches gewaltätiges Verhalten seitens des Staates vorgeworfen wird.

Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um die Angst eben jenes Systems davor, dass die Mietenproteste sich auf der einen Seite zunehmend besser und mehr organisieren und auch mehr Solidarität innerhalb einer immer größerer Anzahl der Bevölkerung finden und auf der anderen Seite sich diese Proteste mit anderen Protestbewegungen, seien sie radikal oder nicht, vernetzen und somit eine Gefahr für den kapitalistischen Normalzustand darstellen.

Wir sehen das im heutigen Prozess genau so bestätigt wie in dem zunehmend brutalen Vorgehen der Polizei gegen eben jene Proteste und Bewegungen.

Hier wird wieder deutlich dass die finanziellen Interessen des System deutlich gewichtiger sind als die körperliche oder geistige Unversehrtheit der Menschen die in diesem System leben und leben müssen.

Weiterer Bericht auf Indymedia: [B] Erster Verhandlungstag Rosemarie F. Gedenkdemo