Wollte Rosemarie Fliess “sich nicht helfen lassen”?

Sehr lesenswerter Artikel, übernommen vom Wohnstreik-Blog
Dort gibt es auch noch mehr Einschätzungen zu Wohnbaugesellschaften, Sozialindustrie und Jobcenter…

Kaum ist Rosemarie Fliess tot, schockieren uns “Enthüllungen” darüber, wie sie sich nicht dabei “helfen” lassen wollte, ihre Wohnung still und leise zu räumen, ohne daß sich irgendjemand ein Gewissen daraus machen müßte.

Das schockierende daran ist, daß Beteiligte und Presse ganz selbstverständlich davon ausgehen, das Publikum würde es schweigend schlucken, daß die Täter in Wirklichkeit die Opfer sind und Frau Fliess selbst an allem schuld ist.
Birgit Hartig, die Vermieterin, die schlicht und einfach für diese Wohnung andere Pläne hatte, als eine alte, kranke, verarmte Frau drin wohnen zu lassen, stellte sich im rbb selbst als jemand dar, der furchtbar gerne helfen wollte. Frau Fliess hätte diese “Hilfe” jedoch nicht gebraucht, wenn Frau Hartig ihr nicht die Wohnung weggenommen hätte.

Mit ihrem Gejammer darüber, daß nicht alle ihr vorgebliches soziales Engagement ganz toll finden, sondern man ihr stattdessen Beteiligung und Verschulden an der Zwangsräumung mit tödlichem Ausgang vorhält, kann sie auch die Äußerungen ihres Mannes nicht vergessen machen, der AktivistInnen des Bündnisses “Zwangsräumung verhindern” sagte, „solche Leute sollten im Dschungel wohnen“ oder sich „umbringen“.

Herr und Frau Hartig können schlicht und einfach nicht erwarten, daß der Rest der Welt nach der Zurschaustellung solch kalter Menschenverachtung und nach dem Tod von Rosemarie Fliess so tut, als hätten die Hartigs mit der ganzen Sache irgendwie nichts zu tun gehabt.
Auch den JournalistInnen vom RBB hätte auffallen müssen, daß sich hier jemand zu Lasten seines Opfers reinwaschen und selbst in die Opferrolle drängen will.
Solche Opfer-Täter-Spielchen sind weder sehr neu noch sehr selten, und wenn die Presse drauf reinfällt, ist das peinlich.

Und hier kommen wir zur eigentlichen Rolle mancher “sozialer” Einrichtungen. Die taz schrieb gestern: “Nach dem Tod von Rosemarie F. in Berlin wird über die Verantwortung und ein mögliches Versagen der Behörden diskutiert. Aber es hat Hilfsangebote gegeben.”

Mir ist nicht bekannt, daß den Behörden “Versagen” vorgeworfen würde, sondern der Vorwurf lautet, absichtlich und im vollen Bewußtsein der tödlichen Konsequenzen die Profitinteressen der Vermieterin über das Leben von Frau Fliess gestellt zu haben.

Die Tatsache, daß es “Hilfsabgebote” gab, mindert scheinbar die Verantwortung der Behörden. Ob diese “Angebote” Frau Fliess tatsächlich hätten helfen können, spielt offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Wir können hier live beobachten, wie an einem Deckmantel gestrickt wird.

Diese “Hilfs”angebote tragen ganz wesentlich zur Legitimierung von allen möglichen staatlichen Zwangsmaßnahmen bei. Ihr Zweck ist es, scheinbar eine Alternative zu diesen Zwangsmaßnahmen zu schaffen, so daß man anschließend den Betroffenen selbst die Verantwortung zuschieben kann, falls diese “Alternative” den Betroffenen genausowenig gefällt wie die Zwangsmaßnahme.

Dann kann man leicht sagen: “Die wollte sich ja nicht helfen lassen, also ist sie selbst schuld an der Zwangsräumung.” Das ist auch sehr verführerisch und einfach, und eine solche Haltung erspart einem den Konflikt mit Mächtigeren, als man selber ist. Und die taz latscht voll Karacho rein.

Die Qualität der Hilfeleistung spielt dabei überhaupt keine Rolle, oder ob die Art der Hilfeleistung überhaupt irgendeinen Bezug zu dem Problem der Betroffenen hat. AuftraggeberIn dieser Art der “Hilfe” ist typischerweise eine Person oder Institution, die jemandem Gewalt antun möchte, aber es hinterher nicht gewesen sein will, wie im vorliegenden Fall. Somit müßte sich die “Hilfe” gegen die Person richten, die die “Hilfe” in Auftrag gegeben hat, wenn sie wirklich helfen soll.

In diesem Zusammenhang ist es aufschlußreich, daß Frau Hartig im rbb so sehr betont, daß das Sozialamt so gut mit ihr zusammengearbeitet habe. Wo sie dem Sozialamt über Monate hinweg nicht einmal eine Kontonummer mitgeteilt hat, auf das das Sozialamt die ausstehende Miete hätte überweisen können.

Genau dasselbe Prinzip habe ich hier schon aufgezeigt: Wenn das Jobcenter Menschen sanktioniert, so daß sie Gefahr laufen, die Wohnung zu verlieren, und gleichzeitig vermeiden will, daß dieselben Menschen ihre Wohnung verlieren, verzichtet man nicht etwa einfach auf die Sanktion, sondern schickt die Betroffenen stattdessen zur “sozialen” Wohnhilfe, wo deren “soziale” Probleme behandelt werden.
(Dafür ist das Geld dann auch plötzlich da, bloß nicht, wenn wir es selbst mal brauchen.)

Laut taz bestand die angebotene “Hilfe” der Behörden darin, daß der sozialpsychiatrische Dienst versuchte, mit Rosemarie Fliess Kontakt aufzunehmen.
Diese hatte jedoch ursprünglich kein “sozialpsychiatrisches” Problem, sondern ihr Problem wurde von einer Vermieterin verursacht, die sie raushaben wollte. Von einer sozialpsychiatrischen Betreuung kann ein solches Problem eher weniger weggehen, es sei denn, man hätte mal Frau Hartig sozialpsychiatrisch beraten.
Sondern gegen diese Art Problem können zum Beispiel helfen: Gerichte, Geld, die Kampagne gegen Zwangsräumung.
Die Gerichte haben auch dann letztlich nicht geholfen, als sie doch noch eingeschaltet wurden.
Geld, das von Sozialstadtrat Höhne persönlich zugesagt wurde, wollte die Vermieterin nicht im Austausch für eine Fortsetzung des Mietverhältnisses annehmen, und die Kampagne gegen Zwangsräumung hat getan, was sie konnte.
All diese Hilfe war Frau Fliess auch bereit, anzunehmen. Diese Hilfe war darauf gerichtet, oder hätte es sein sollen, ihr Weiterleben in der eigenen Wohnung zu sichern. Alles andere wäre offenbar keine Hilfe für sie gewesen und rechtfertigt daher tatsächlich nicht die Vorhaltung, Frau Fliess hätte keine Hilfe annehmen wollen. Sofern halt Tatsachen eine Rolle spielen.

Quelle: http://wohnstreik.blogsport.eu/