Am 30.11. hat Micha das letzte mal die Tür seiner Wohnung hinter sich geschlossen – gezwungenermaßen. Den Schlüssel musste er beim Eigentümer Matthias Nebus in Zehlendorf abgeben. Einige Leute haben ihn bei diesem deprimierenden Gang begleitet. Überraschenderweise hat Nebus sogar geöffnet. Weniger überraschend hat er sich als genau der Yuppie-Arsch entpuppt, den man erwartet, wenn einer einen Mieter nach 40 Jahren auf die Straße setzt.
Nach 40 Jahren ist die Wohnung weg
Aber der Reihe nach. Micha wohnte seit 1982 in seiner Wohnung in Steglitz. Im Kiez drumherum ist er aufgewachsen. Nach Aufteilung in Eigentum 1999 wurde die Wohnung 2018 zum zweiten Mal verkauft. Käufer waren Tomasz Rotecki und Matthias Nebus, die umgehend Eigenbedarf für die 75-jährige Schwiegermutter von Rotecki geltend machten. Das Gericht winkte den Eigenbedarf durch und gewährte Micha einen Räumungsaufschub bis 30.11.2022.
Micha war perplex. Das hätte er sich nicht träumen lassen, dass ein paar Kudamm-Schnösel ihm seine Wohnung unterm Arsch weg kaufen, ihn dann einfach mir nichts dir nichts rausschmeißen können und ein Gericht ihnen dabei noch Recht gibt. Und dass ein Gerichtsgutachter seinen, durch die Kündigung rapide verschlechterten, Gesundheitszustand auch noch verhöhnt mit den Worten „nehmen Sie mal paar Pillen dann geht’s schon wieder“. Von Politiker*innen, die er reihenweise abgeklappert hatte, bekam er zu hören „wir können da nix machen“. Wozu sollen wir eigentlich diese Vögel, die für die permanente Verschlechterung unserer Lebensbedingungen verantwortlich sind, wieder und wieder wählen? Gut, einer dieser Politiker hatte zumindest kapiert, dass gegen diese staatliche Gewaltmaschine nur Widerstand hilft und gab ihm den Tip in die „Rigaer“ oder zum „Bündnis Zwangsräumung verhindern“ zu gehen.
Letzte Hilfe „Rigaer“ oder „ Zwangsräumung verhindern“
Wegen der unregelmäßigen Öffnungszeiten der „Rigaer“ ist Micha dann beim „Bündnis Zwangsräumung verhindern“ gelandet. Das Bündnis dachte, na da lässt sich vielleicht was machen. Denn die Eigentümer sind 2 von 3 Geschäftsführern des Nobelschuhladens „Budapester“ am Kudamm mit Online-Shop mit 16 Millionen Euro Umsatz. Aber schon beim ersten Besuch des Ladens mit zaghaftem Versuch einen Brief zu übergeben, kam die Security angerannt. Danach kam gleich ein Drohbrief vom Anwalt, noch ein zweiter vor der ersten Kundgebung vor dem Laden. Auch bei insgesamt 22 wöchentlichen Mahnwachen haben die Eigentümer sich nicht blicken lassen. Nur der dritte Geschäftsführer kam immer wieder aus dem Laden gestürmt und hat versucht bei der Polizei zu intervenieren. Eben „Eine Klasse für sich seit 1939“ wie es so bescheuert wie nonchalant auf der Website von „mybudapester.com“ heißt. Kauft mal ein Geschichtsbuch statt Luxuslatschen, ihr Vollpfosten.
Eigentumsverhältnisse sind Machtverhältnisse
Irgendwann war klar, die sind so kaltschnäuzig und sitzen das aus. Denn in dieser Gesellschaft, in der wir täglich mit diesem Menschenrechtsgeheuchel beballert werden, zählt das Menschenrecht auf Wohnen – nichts. Das Recht auf Privateigentum dagegen – alles. Könnte man auch ändern. Gesetze zur Verfügungsgewalt über Eigentum erlassen, ausreichend bezahlbaren Wohnraum für alle bauen oder große Immobilienkonzerne enteignen. Das wäre dann aber nicht mehr Kapitalismus. Wo aus allem und jedem Profit gepresst werden muss, egal ob Arbeit, Gesundheit, Bildung, Kultur oder eben Wohnen. Das wird erst anders, wenn die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden, an Häusern und Produktionsmitteln ganz andere, eben keine privaten, mehr sind. Dann werden zwar Arschlöcher immer noch Arschlöcher sein, aber ohne die Macht, die aus den Eigentumsverhältnissen erwächst, können die uns dann den Buckel runter rutschen und uns jedenfalls nicht mehr aus unseren Wohnungen räumen oder unseren Jobs schmeißen.
Zusammen kämpfen
Bis dahin wird wohl noch bisschen Zeit ins Land gehen. Und geschenkt bekommen wir das auch nicht. Müssen wir uns organisieren und uns wehren, uns nicht spalten lassen und uns immer vorwärts wühlen. Michas Wohnung ist trotzdem weg aber andere Betroffene stehen beim „Bündnis“ auf der Matte. Andere Eigentümer wollen vielleicht keine Besuche und keine wochenlangen Mahnwachen oder sonst was. Denn wir lernen ja auch aus unseren gemeinsamen Kämpfen. Kein Kampf ist umsonst – alles Pflastersteine auf dem Weg in eine ganz andere Gesellschaft.