Zuerst haben wir gemeinsam einen Brief übergeben…
Am 6. April trafen sich 4 Personen aus dem Bündnis Zwangsräumung verhindern am Kotti, um gemeinsam nach Köpenick in die Oberspreestraße 182 zu fahren.
Wir nutzen die Fahrt, um uns gegenseitig den Brief laut vorzulesen und letzte Fehler zu korrigieren. Besonders gefiel mir die Stelle im Brief, wo der Anwalt seine Vermieterbrille gegen seine Mieterbrille mal auswechseln soll. Der Anwalt ist auch für den Mieterverein tätig und hat also auf diesem Bereich Kompetenzen.
Nachdem wir die Stadt mit Hilfe der BVG neu vermessen hatten und uns in einer anderen Welt fühlten – dabei ist von Kreuzberg nach Köpenick laut BVG nur 45 Minuten Unterschied – in der Realität aber doppelt soviel – fanden wir uns in einer anderen Welt wieder. Was ist aus der Arbeiterklasse geworden, die hier vor 30 Jahren Schöneweide das Flair gab, dass nur Kabelwerker geben können? Kabelwerk Oberspree deindustrialisiert, Arbeitsstandorte globalisiert, Auswirkungen als Fluchtursachen wieder zurückgekehrt an den Beginn der Geschichte und wir nun bei den Verantwortlichen konkret zu Besuch – eine Gründerzeitvilla mit Jugendstilambiente erwartete uns.
Kurz vor dem Klingeln waren wir komplett irritiert – zu wem wollten wir eigentlich? Die Katharina ist die Hausverwalterin, aber ist sie auch die Eigentümerin? Irgendjemand besitzt die Website der Hausverwaltung und hat noch eine Verbindung zu? Und der Anwalt berät sowohl Mieter, besitzt aber auch Häuser und macht da fett Geschäft mit Flucht und Armut und dann leistet man sich noch den Zweig der Zivilgesellschaft, denn im Souterain war die Spindelmindel – irgendein lokaler Aufschlag des engagierten Teils der Bevölkerung für Lurchen und Uferwege und Partizipation – wo wollten wir eigentlich hin? Jemand erklomm die Stufen zum Eingang. Und da standen sie alle an Klingelschildern, an Briefkästen, aber nur eine Klingel für alle – alles eine Mischpoke.
Der Summer ging, die Tür sprang auf, vor uns eröffnete sich ein Entré aus vergangenen Zeiten, Holzgetäfelt, Deckenbemalt – herrlich, einfach eine andere Klasse. Aus der einzig offenen Tür kam uns ganz offensichtlich die Sekretärin entgegen, hinter ihr leuchtete das Bodemuseum in gelb und rot gemalt. Sie war irritiert. Warum wir den Brief nicht per Post geschickt haben – ja es drängt, sie haben eine Zwangsräumung angesetzt. Warum man nicht einen Termin gemacht hätte und ein vier-Augen-Gespräch? Nein, wir kommen nie allein, wir sind Gruppe – heute sind wir in kleinster Aufstellung.
Der Fragen waren noch viele, wir verlasen den Brief und ergänzten danach einander den Entwurf des weiteren Prozedere. Wir haben wirklich kein Interesse an Eskalation + aber angesichts der Ungerechtigkeit haben wir einen Plan + wir kommen wieder mit einer Kundgebung + wir schreiben Briefe an Geschäftspartner und Freunde der Zivilgesellschaft und natürlich diskutieren wir das über die Presse gemeinsam + und wenn nichts hilft, dann organisieren wir natürlich die Blockade + aber wir haben kein Interesse an Eskalation + sie haben damit angefangen.
Wir hatten uns nicht verabredet, wer was sagt. Wir sind so eingespielt aufgrund unserer Erfahrung, dass wir wie eine Spinne jedes Bein nach einem Rythmus bewegt, uns gemeinsam zum Abschluß des Gesprächs vortasteten, in der Bewegung aber schon auch unberechenbar schienen für die ganz offensichtlich weiblich sozialisierten Person, die es schon bereute auf die Frage „Sollen wir den Brief mal vorlesen“ vor gefühlten 20 Minuten „Ja“ gesagt zu haben.
Und wir konnten kein Ende finden. Eine Person hatte sich bereits auf der Couch niedergelassen und sagte wie ins Nirvana „Weisst du noch bei der Räumung von Ali?“ und eine andere Person ergänzte „…als der Kurier mit einem brennenden Auto titelte“ und die Dritte ergänzte „So sieht es in Kreuzberg aus, wenn die Gerichtsvollzieherin kommt“ Die männliche Stimme der Vernunft aber hielt entgegen: „Wir halten nichts vom Kurier“
Und hinter einer großen Holztür hörte man eine männliche Stimme telefonieren. Wir konnten uns ein Schmunzeln nicht verkneifen – nicht nur sie hatte etwas untertrieben zu Beginn, als sie meinte, niemand wäre im Hause.
So zogen wir fröhlich von dannen, die Bewegung hinter uns stehend, die Zukunft vor uns und die Sonne schien. Ein wirklich gelungener Ausflug.
…dann machte Herr Tüxen mit uns einen Termin
Wir waren 5 Leute; hatten – wie besprochen – 3 Forderungen und einen Vorschlag mitgebracht… zunächst hat Herr Tüxen uns darüber informiert, dass er für dieses Gespräch kein Mandat hat und eigentlich Anwälte miteinander kommunizieren… Auf die Frage hin, ob wir mal erklären sollten, warum wir hier sind und wer wir eigentlich sind winkte er nur wissend ab „Danke, ich weiß, wer sie sind.“
Als nun geklärt war, dass wir zu einem politischen Gespräch gekommen waren, stellten wir unsere Forderungen und unser Angebot vor:
- Zwangsräumung am 3.5. abgeblasen
- Mietfreiheitsschuldenbescheinigung – f. weiß wie es genau heißt
- Schuldenerlass komplett
- und bis zum Auszug Miete nach den Möglichkeiten, die JC gewährt
Dann folgte eine Diskussion + irgendwie hielt er sich am Mietenkonto fest, die betroffenen Mieter wollte es dann aber genau wissen „woher sollen wir wissen, was sie erhöht haben, wenn sie uns das nicht mitteilen?“…und hier ist in der Tat ein strukturelles Problem, JC zahlt direkt, aber Mieterin ist in der Verantwortung
Als die Freundin und Übersetzerin dann vor seinem Schreibtisch stand und sich nicht mit allgemeinen Vorwürfen abspeisen lassen wollte, ließ er seinen Plan fallen, das Mantra von ‚Schulden sind in so hohem Maße aufgelaufen, dass er das hier nicht in Gänze darlegen könne‘ weiter zu wiederholen…
Daraufhin machte ein Unterstützer einen längeren Beitrag, warum sind wir hier und was ist eigentlich mit dem Unterschied zwischen Herrn Tüxen und der Mieterin…. dadurch war es Herrn Tüxen möglich, wieder auf den Kern unseres Erscheinens zurückzukommen wir setzten nochmal nach „Wir brauchen einfach Verfahrenssicherheit, ob wir nun auch am 3. Mai noch nüchtern sein müssen“
Und dann ging alles sehr schnell. Herr Tüxen bestätigte alle Forderungen und hatte nur den Wunsch, eine großzügige Frist des Auszuges festzuschreiben – 1 Jahr mit der Möglichkeit ohne Fristen jederzeit das Mietverhältnis durch die Mieter zu kündigen, wenn sie eine andere Wohnung gefunden haben.
Der Vergleich ist geschlossen
- Räumungstitel ruht, Zwangsräumung zurückgenommen
- Mietschuldenbefreiung wird ausgestellt
- Schulden erlassen und zwar komplett
- aktuelle Miete läuft bis zum Auszug