Polizei-Märchenstunde im Gerichtssaal – Teil 2 und Ende

Der 2. Prozeßtag gegen Stan M. wurde wieder von solidarischen Menschen begleitet und endete juristisch mit einem glimpflichen Urteil. Schwerwiegende Anklagepunkte wurden vom Richter fallen gelassen. Politisch ist der Prozeß aber weiterhin ein Skandal. Denn als Fazit bleibt: Wenn du Polizisten auffällst oder sie nervst, dann können sie dich bewußtlos schlagen, finden das gerechtfertigt und haben auch keine rechtlichen Konzequenzen zu befürchten.

Am heutigen Mittwoch war der 2. Prozeßtag im Prozeß gegen Stan M., der bei der Rosemarie-Gedenkdemo am 14.04.2013 von der Polizei bewusstlos geschlagen wurde. Nicht der Polizist, der Stan bewußtlos schlug war angeklagt, sondern Stan und zwar wegen „Landfriedensbruches in Tateinheit mit Körperverletzung, versuchter, gefährlicher Körperverletzung sowie Beleidigung und Widerstandes gegen Polizeivollzugsbeamte“.

Am 1. Prozeßtag sagten der Polizeibeamte, der Stan festnahm, und weitere Polizisten aus. Die Aussage des festnehmenden Polizisten war so unglaubwürdig, dass dies auch dem Richter auffiel. Am 2. Prozeßtag sagte der Zugführer aus. Diese Aussage war vorsichtiger formuliert aber nicht minder unglaubwürdig, zumindest für Leute die auf der Demo waren oder Erfahrung mit Polizeigewalt haben.

So wurden seiner Aussage zufolge Polizisten aus der Demo heraus geschlagen, ein Polizist in die Demo hineingezogen, sozusagen vom Monster Demo verschlungen. Stan warf er vor durch seine Provaktionen, langsames Laufen vor und durchschlängeln durch die Polizisten, die Eskalation verursacht zu haben. Und zwar geplant und auch nicht zum ersten Mal. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt, aber bei Märchen ist das ja so üblich. Strafrechtlich ging es aber bei seiner Aussage nur um „Beleidigung und Widerstandes gegen Polizeivollzugsbeamte“. Stan hätte ihn geschubst und mit Worten beleidigt.

Bei der Urteilsverkündung stellte der Richter den Polizeibeamten als ein leuchtendes Beispiel eines Zeugen dar. Schubsen und Beleidigung wurden ihm geglaubt und Stan dafür zu 15 Tagessätzen a 8 Euro verurteilt. Die schweren Anklagen wegen „Landfriedensbruches in Tateinheit mit Körperverletzung, versuchter, gefährlicher Körperverletzung“ ließ der Richter fallen, mit der Begründung der Polizeizeuge vom 1. Prozeßtag wäre völlig unglaubwürdig. Trotz offensichtlicher Absprachen der Polizisten waren dessen Lügen zu augenscheinlich. Aber zu einem Freispruch konnte der Richter sich nicht durchringen, das wäre für Polizei und Justiz ein Debakel gewesen.

Ein Skandal bleibt es, dass Polizisten ungestraft Menschen bewußtlos schlagen können. Polizeigewalt muss immer wieder thematisiert werden und gegen ihre Repression hilft nur eines: unsere Solidarität!

Bericht von Prozeß und Urteilsverkündung auf Indymedia

Plädoyer von Stans Verteidigerin


Verehrtes Gericht, Herr Staatsanwalt,

wir haben hier nunmehr an drei Verhandlungstagen die Vorwürfe gegen meinen Mandanten verhandelt. Die Verhandlung fand unter regem Interesse der Öffentlichkeit und flankiert von einem immensen Sicherheitsaufgebot statt. Um zu verstehen, weshalb ein doch sehr niederschwelliger Vorwurf derartige Reaktionen auslösen kann, kommt man meines Erachtens nach nicht drum herum die Hintergründe des Falls kurz näher zu beleuchten.

Den Rahmen für die hier angeklagten Taten bildete eine Demonstration am 24.04.2013 durch Kreuzberg. Diese Demonstration richtete sich gegen die in vielen deutschen Großstädten allen voran Berlin etablierte Praxis, alteingesessene Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben, um diese möglichst gewinnbringend einem zahlungskräftigeren Klientel übereignen zu können. Dies hat mein Mandant in seinem opening statement näher ausgeführt. Den konkreten Anlass für diese Demonstration bildete die Tatsache, dass einige Tage zuvor in Kreuzberg eine Zwangsräumung, gegen die viele Personen engagiert und friedlich demonstriert hatten, durch den Eigentümer unter Zuhilfenahme der Berliner Polizei gewaltsam durchgesetzt worden war. In der Folge ist die Mieterin, die Rentnerin Rosemarie F. am nächsten Tag in einer Wärmestube für Obdachlose verstorben.

Diese Geschehnisse führten zu öffentlicher Trauer und Empörung, die nun am 24.04.2013 in Form einer Demonstration auf die Straße getragen wurde. Unter den Demonstranten befand sich auch mein Mandant.

Was hat nun aber die Beweisaufnahme hinsichtlich des Verhaltens meines Mandanten auf dieser Demonstration ergeben. Meiner Ansicht nach hat die vor allem eines ergeben: Mein Mandant nervt Polizeibeamte. Er wählte auf dieser wie auch schon auf vorhergehenden Demonstrationen kreative Formen, seine durch Art. 5 und 8 GG garantierten Rechte wahrzunehmen, indem er mit einem Regenschirm Polizeikameras blockierte und Schlangenlinien durch Polizeiketten lief. Dies ärgerte ohne Zweifel am Tattag, wie auch schon bei früheren Demonstrationen die eingesetzten Beamten, wie uns hier mehrfach bestätigt wurde. Eine Straftat stellt dieses Verhalten jedoch nicht dar. Dies wussten auch die eingesetzten Beamten, weshalb auf dieses Verhalten hin auch kein Zugriff erfolgte.

Auch den Grund dafür, dass der heutige, ebenso wie der erste Verhandlungstag von einem dem Tatvorwurf nicht im geringsten angemessenen Aufgebot an Sicherheitskräften begleitet wird, stellt das geschilderte Verhalten meines Mandanten jedoch nicht dar. Dies ist vielmehr auf das breite Interesse in der Öffentlichkeit an den Geschehnissen zurückzuführen, die zu dieser Verhandlung geführt haben. Dieses Interesse ist jedoch erneut nicht durch die bemerkenswerten athletischen Meisterleistungen meines Mandanten begründet, welcher hier nicht nur mit einem riesigen Regenschirm bewaffnet, mit beiden Händen auf einen Polizeibeamten eingeschlagen haben und im Rückwärtsgehen einen Fußballertritt mit Ausholen in Richtung eines Polizeibeamten ausgeführt haben soll. Dieses Interesse ist darauf zurückzuführen, dass ein Polizeibeamter in eine bis zu diesem Zeitpunkt friedliche Demonstration gestürmt ist, wobei er, wie er hier selbst einräumte, mehrfach Gewalt gegen Demonstrationsteilnehmer anwendete und dann innerhalb dieser Demonstration mit meinem Mandanten zu Boden ging. In der Folge wies mein Mandant verschiedene gut sichtbare Verletzungen im Kopfbereich auf und musste im bewusstlosen Zustand aus der Demonstration getragen werden.

Was letztendlich zu diesen Verletzungen meines Mandanten geführt hat, diesbezüglich gab es unterschiedliche Aussagen: Dass die Schilderung des Beamten Go., wie dieser sich heldenhaft auf meinen Mandanten warf, um von diesem die Schläge und Tritte eines wütenden Mobs, der ohne erkennbaren Grund auf meinen Mandanten losging ohne jegliche Maßnahmen der Eigensicherung abzuwehren, sich bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung als äußerst unglaubwürdig darstellen, bedarf aus meiner Sicht keiner weiteren Erläuterung.

Alle weiteren Beamten, die wir hier gehört haben, standen zu weit weg oder haben das Geschehen angeblich nicht beobachtet. Die dem Geschehen am nächsten stehenden Beamten sind aus unerklärlichen Gründen nicht aufzufinden. Sämtliche vor Ort eingesetzte Polizeikameras waren zum Zeitgriff des Zugriffs ausgeschaltet.

Es bleibt also höchst unklar, was tatsächlich zu den Verletzungen meines Mandanten geführt hat. Klar ist jedoch, dass diese Verletzungen bereits am Tattag auf ein reges Medieninteresse gestoßen sind und das der Zugriff einer Rechtfertigung bedurfte. Diese bot nunmehr das in der Anklage geschilderte angebliche Vorgeschehen, welches hier durch die Beamten Go und Gra geschildert wurde. Demnach soll sich mein Mandant, der sich zwar auf Demonstrationen zuvor stets auffällig, jedoch niemals gewalttätig gezeigt hat, ohne erkennbaren Grund einer zweifachen Körperverletzung gegen Beamte der Berliner Polizei gemacht haben. Konkret soll es sich dabei um den bereits erwähnten Fußballtritt mit ausholen im Rückwärtsgehen und Schläge mit beiden Fäusten unter Verschwindenlassen eines riesigen Regenschirms gehandelt haben. Dies soll, natürlich unter Einhaltung der ordnungsgemäßen Befehlskette in einem nach Angaben des Zeugen Go mehrere Minuten andauernden zweiaktigen Geschehen den Zugriff durch den Beamten Go gerechtfertigt haben. Diese Version lässt nicht nur in Hinsicht auf die die anatomisch so gut wie unmöglich erscheinenden Körperverletzungshandlungen meines Mandanten Zweifel aufkommen, sondern erscheint auch angesichts der sich hier ansonsten offenbarten mangelnden Wahrheitsliebe des Zeugen Go absurd. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass entgegen der sonst üblichen Praxis keiner der sonstigen Polizeibeamten diese Version stützt.

Was also war der tatsächlicher Auslöser für den unvorbereiteten Zugriff des Beamten Go? Meiner Überzeugung nach spricht viel dafür, dass die Beamten Gra und Go durch eine in der Anklage nicht erwähntes (da wahrscheinlich nicht strafbares) Verhalten meines Mandanten derart gereizt wurde, dass der Zeuge Go die Kontrolle verlor und ramboartig eigenmächtig in die Menge stürmte und in Rage auf meinen Mandanten einschlug und zwar auch dann noch, als dieser bewusstlos am Boden lag. Mit letzter Gewissheit beweisen kann ich dies jedoch leider nicht. Dies muss ich jedoch auch nicht, da es letztlich im vorliegenden Verfahren Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, zweifelsfrei zu beweisen, dass mein Mandant die hier angeklagten Taten tatsächliche begangen hat. Dies ist angesichts massiver Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der einzigen beiden Belastungszeugen hier meiner Ansicht nach jedoch nicht gelungen.

Mein Mandant ist daher freizusprechen und die Kosten des Verfahrens sind der Staatskasse aufzuerlegen.