Am 25.10.2013 wurde Rainer P. in Staaken aus seiner Wohnung geräumt. Ca. 50 Personen protestierten dagegen, konnten die Räumung aber nicht verhindern. Die Bild-Zeitung berichtete am selben Tag auf ihrer WebSite:
„Unfassbare Geschichte aus Spandau Vater zwangsgeräumt, weil sein Sohn die Nachbarn anzünden wollte […] Der Sohn hat sogar eine Frau mit Benzin übergossen und wollte sie anzünden – dafür kassierte er 18 Monate Knast!“ (Quelle Bild)
Erklärung des Bündniss Zwangsräumung verhindern zum Lügenblatt Bild
Die Behauptung vom Anzünden der Nachbarin stammt von der WebSite der Pressestelle des Landgerichts bzw. aus dem Urteil (63 S 296 12 Urteil vom 5.3.2013) von Richterin Regine Paschke – die diese Behauptung als Tatsache ins Urteil schrieb, obwohl sie die Rechtmäßigkeit der Kündigung ausdrücklich gar nicht mit diesem Vorfall begründete, sondern statt dessen mit einem Hausfriedensbruch in einem Ladengeschäft der Ypsilon Liegenschafts Verwaltungs GmbH. Offenbar haben sich die Bild-ReporterInnen M. Lukaschewitsch u. O. Wagner nicht die Mühe gemacht, das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Tiergarten zu diesem Vorfall zu lesen: Freispruch, weil selbst die angeblich mit Benzin übergossene Nachbarin als Zeugin dem Urteil zu Folge aussagte, „dass es zu einem Handgemenge zwischen ihr und dem Angeklagten gekommen sein, bei dem man sich gegenseitig mit Terpentin bespritzt habe. In ihrer Wut habe sie ihn dann provozieren wollen und ihn aufgefordert, sie doch anzuzünden, worauf der Angeklagte regelrecht Angst bekommen habe und gegangen sei.“ ((234 Ds) 3014 PLs 1891/11 (48/11))
Der Sohn wurde deswegen nicht zu 18 Monaten verknackt, sondern in dieser Sache freigesprochen aber im gleichen Verfahren wegen anderer körperverletzender Straftaten zu zwölf Monaten auf Bewährung verurteilt. Das klang der Bild wohl nicht spektakulär genug.
Bild macht sich ihren autoritären Reim auf das Paschke-Urteil
Die Bild gibt die Rechtsprechung durch Regine Paschke zustimmend wieder und fasst zusammen: Das Verhalten des Sohnes „sei für die anderen Mieter einfach nicht mehr zumutbar.“ Auch das ist in dieser indirekten Rede eine falsche Aussage, weil es um die Sorgen und Nöte anderer Mieter in dem Paschke-Urteil mit keinem Wort geht, im Gegenteil: „Die […] Bedrohungen anderer Bewohner durch den [Sohn] hat das Amtsgericht zu Recht nicht als Kündigungsgrund berücksichtigt, […]“.
Die Bild selbst macht mal wieder Stimmung mit dem Sicherheitsbedürfnis den Ängsten des rechtschaffenden kleinen Mannes, mit denen sie Repression (und in anderen Kontexten Überwachung) rechtfertigt: „Die Nachbarn dürften dennoch aufatmen: Sie sind den gefährlichen Sohn los.“
Es bleibt das Geheimnis der Bild, warum die Nachbarn den Sohn los sind, wo doch nur der Vater geräumt wurde – Wirkung zeigt die Stimmungsmache aber auf jeden Fall, denn die Familie und deren Freunde sind nun Anfeindungen aus der Nachbarschaft ausgesetzt, in der sie sich ja noch immer bewegen. Das verdanken sie auch der Pressearbeit des Landgerichtes, das ebenfalls in seiner Zusammenfassung das saftige Paschke-Zitat vom übergießen mit Benzin und versuchtem Anzünden wiedergibt, obwohl doch gerade der Leiter der Pressestelle, Dr. Ulrich Wimmer, der selbst Richter ist, durch schlichtes Lesen wissen konnte, dass sich das Urteil von Regine Paschke gar nicht auf diesen Vorfall stützt, sondern die Behauptungen der Ypsilon Liegenschafts-Verwaltungs GmbH einfach nur so distanzlos als Tatsachenfeststellung übernimmt, mit der die Ypsilon eine Wohnung von armen Mietern säubern wollte, um sie teurer vermieten zu können. Offenbar geht die öffentliche Kritik der Rechtsprechung in Zwangsräumungsfällen der Richterschaft auf die Nerven und die schlägt zurück.
Sippenhaft und autoritäre Rechtsprechung
Das Bündnis Zwangsräumung verhindern! versuchte Widerstand gegen diese Räumung als Sippenhaft zu organisieren und sieht sich in seiner Kritik a) das Mietrecht als Strafrecht zu benutzen und b) MieterInnen in Sippenhaft zu nehmen durch die Ereignisse bestätigt. Rainer P. sagte nach seiner Zwangsräumung: „Mit meiner Zwangsräumung heute ist die Sippenhaft in Deutschland offiziell wieder eingeführt“. Dem schließt sich das Bündnis Zwangsräumung verhindern! mit dem kritischen Zusatz an, dass dass das nicht erst seit dem 25.10.2013 so ist. Das Paschke-Urteil belegt gerade durch die völlige Abwesenheit einer Interessenabwägung, dass die Neben- und Loyalitätspflichen des deutschen Vertragsrechts — die Rainer P. letztlich zum Verhängnis wurden –, immer zu Lasten der Mieter bzw. Lohnabhängigen gehen.